Qualität bei Wohnmobilen: Wohnmobile unter der Lupe


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Im Frühjahr lief die Wohnmobilproduktion auf Hochtouren – kann da die Qualität mal auf der Strecke bleiben? promobil blickt hinter die Kulissen und zeigt, wie unnötiger Ärger vermieden werden kann.

Die Welt der Hochglanzprospekte kennt keine Probleme. Hier lesen Reisemobilkäufer von einem „lückenlosen Qualitätsmanagement“, von „Liebe zum Detail“ oder vom „Streben nach Perfektion“. Man hat das Bild eines mobilen Meisterwerks vor Augen, das funktioniert wie das sprichwörtliche Uhrwerk.

Einen harten Kontrast bildet mitunter Murks aus der Praxis. „Mein erstes Reisemobil war im ersten Jahr zwölfmal in der Werkstatt“, schreibt promobil-Leser Günter Groß, „mein drittes Mobil, seit April 2011 in meinem Besitz, ist nach mehreren Werkstattbesuchen immer noch nicht in Ordnung.“ Sein Eindruck zur Reisemobilqualität: „Wenn ich auf Campingplätzen mit anderen ins Gespräch komme, höre ich fast nur negative Meinungen.“ Der Brief ist tatsächlich kein Einzelfall. Wird die Qualität von Reisemobilen einfach dem Zufall überlassen? promobil hat sich in der Produktion und im Handel umgesehen.


Hersteller: Eine hohe Qualität beginnt bereits vor der Montage 

Die wohl umfangreichste europäische Reisemobilproduktion befindet sich im Allgäu. Bei Dethleffs in Isny entstehen ausgebaute Kastenwagen für gut 30.000 Euro ebenso wie große Liner für fast 200.000 Euro. Das Gros der hier gebauten Freizeitfahrzeuge besteht jedoch aus typischen Mittelklasse-Modellen. Wie akribisch geht man in dieser Produktion mit dem Thema Qualität um?


Über den langen Montagebändern hängen große Schilder mit der Aufschrift: „Qualität ist, wenn der Kunde zurückkommt, nicht das Fahrzeug.“ Wie wahr. Dethleffs-Geschäftsführer Norbert Dellekönig setzt mit seiner Vorstellung von Qualität schon vor der Produktion an und verweist auf die Bedeutung der Lieferantenauswahl und die Entwicklung: „Qualität muss man frühzeitig konstruieren. Wenn etwas so kompliziert ist, dass es immer gebastelt aussieht, dann lassen wir die Finger davon.“


Dellekönig spricht außerdem den frühzeitigen Bau von Prototypen an. Wohl wissend, dass in der Reisemobilbranche kurze Entwicklungszyklen der Regelfall sind. Der jährliche Caravan-Salon gibt den Rhythmus vor. Trotz intensiver Tests von Prototypen auf der Rüttelstrecke und in der Klimakammer rückt der Dethleffs-Geschäftsführer deshalb die Maßstäbe zurecht: „Wir sind nicht die Automobilindustrie.“


Für die Produktion gilt das gleichermaßen. In Isny laufen an jedem Arbeitstag etwa 30 Reisemobile vom Band. VW baut in dieser Zeit allein vom Golf über 3000 Exemplare. Deshalb entdeckt man in den Montagehallen von Dethleffs auch keine Roboter. An einem langsam laufenden Fließband werden weitgehend vorgefertigte Komponenten an- und eingebaut: Reisemobilbau bedeutet auch im Jahr 2012 zu weiten Teilen Handarbeit.


Geschäftsführer Dellekönig weiß, dass „im richtigen Leben auch einmal Dinge übersehen werden“. Er setzt auf regelmäßige Schulungen und Selbstkontrolle der Monteure. Sein Leitbild für Qualität in der Produktion: „Konstruktionen, bei denen man nichts falsch machen kann, und Prüfungen, die man nicht unterlaufen kann.“ Solche Kontrollen finden praktisch permanent statt. Bei der Anlieferung von Komponenten, am Montageband und schließlich bei der Endabnahme.


Welche Mängel werden hier aufgespürt? Die umfangreichen Dokumentationen zu jedem Fahrzeug verzeichnen beispielsweise Kratzer an Holz und Lack, wo der Monteur mit dem Schrauber abgerutscht ist, außerdem mangelhaft eingestellte Türen und Klappen oder nicht korrekt angeschlossene Schläuche. Eigentlich dürften solche Fehler also gar nicht auf den Mängellisten unzufriedener Käufer auftauchen.


Qualität, Report

Regenscheit, Pompe, Fotolia, promobil-Archiv
Einmal pro Tag muss bei Dethleffs ein auslieferungsfertiges Fahrzeug zum Produktaudit.

Bei Dethleffs ist die Endkontrolle aber nicht immer der letzte Schritt in der Qualitätssicherung. Einmal pro Tag muss ein auslieferungsfertiges Fahrzeug zum Produktaudit. Das bedeutet eine weitere Untersuchung auf Herz und Nieren inklusive aller Funktionstests. Während der Prüfung wird die gesamte Serie für die Auslieferung gesperrt. So kommen eventuell nötige Nachbesserungen auch der Qualität anderer Modellen zugute. Die unangekündigten Nachkontrollen sind ganz offensichtlich nicht vergebens. Zumindest am Tag des Fototermins förderten die erfahrenen Qualitätsprüfer kleine Ungenauigkeiten zutage.


Zum Audit gehört seit Kurzem eine Probefahrt. Sie ergänzt das Programm, seitdem Käufer häufiger Klappergeräusche bemängeln. Auch Qualitätsverantwortliche halten also die Ohren offen. Die definierte Proberunde gehörte sonst nur beim Premium Liner zum Pflichtprogramm. Davon abgesehen versichert Norbert Dellekönig, dass Preisunterschiede nichts mit der Sorgfalt bei der Montage zu tun haben. Ohnehin hat er das Thema Qualität zur Chefsache gemacht. Ein- bis zweimal in der Woche sieht er sich gezielt einzelne Neufahrzeuge am Auslieferungsplatz bis ins Detail an.


Händler: Auch der ausliefernde Betrieb entscheidet über die Qualität  

Schon aus eigenem Interesse beobachtet der Handel das Qualitätsniveau der Hersteller sehr genau. Beschwerden über fehlerhafte Reisemobile landen zuerst bei Verkauf und Werkstatt. Wie beurteilen erfahrene Händler Qualität und Verarbeitung? promobil hat sich bei einem der größten Betriebe umgehört.


Nahe München bietet der Freistaat Reisemobile 17 unterschiedlicher Marken an. Wolfgang Liebscher, Freistaat-Chef und Präsident des Händlerverbands DCHV, attestiert  grundsätzlich Fortschritte in der Reisemobilproduktion: „Über die Jahre hat sich die Qualität erheblich verbessert. Alle großen Hersteller haben dazugelernt. Die Massenware hat inzwischen einen relativ guten Standard erreicht.“ Dass es zur Perfektion oft nicht ganz reicht, weiß auch Liebscher.


Qualität, Report

Regenscheit, Pompe, Fotolia, promobil-Archiv
Bevor ein Reisemobil an den Käufer übergeben wird, steht eine Auslieferungsinspektion beim Händler auf dem Programm.

Als Ursache sieht er in vielen Fällen den Anlauf neuer Serien oder Produktionsstätten. Mitunter bringen auch individuell ausgestattete Reisemobile Qualitätsschwankungen mit sich. Erst recht, wenn nicht alle Extras ab Werk montiert wurden. Liebscher: „Es wird viel nachgerüstet, das ist oft ein Problem.“ Ein Beispiel: Im fertigen Reisemobil lässt sich ein Gas-Backofen nur mit viel Geschick ohne den kleinsten Kratzer an den Möbeln montieren.


Der Käufer weiß allerdings in vielen Fällen gar nicht, ob seine Sonderwünsche am Band oder in der Werkstatt erfüllt werden. Liebscher: „Wir schauen, dass möglichst alles im Werk eingebaut wird.“


Völlige Sicherheit gibt auch das nicht. Optische Mängel gehören beispielsweise zu den typischen Fehlern, die im Handel vor der Auslieferung an den Kunden festgestellt werden. Immer wieder müssen in der Werkstatt bei Neufahrzeugen auch Elektronikpannen sowie Lecks an Wasser- und Gasanlage repariert werden. Undichte Aufbauten gehören dagegen laut Liebscher bei neuen Fahrzeugen der Vergangenheit an.



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Von den im Handel festgestellten Mängeln merkt der Kunde normalerweise nichts. Wolfgang Liebscher rechnet für ein Mittelklasse-Reisemobil mit zwei bis drei Stunden Arbeitszeit, bis alles richtig funktioniert. Der Händlerpräsident führt exakte Statistiken zur Fehlerhäufigkeit der im Freistaat angebotenen Fahrzeuge. Über seine Hitliste der Herstellerqualität verrät er nur so viel: „Die großen Marken liegen eng beieinander.“ Liebscher kennt aber auch die Reaktionen unzufriedener Käufer: „Alle Beschwerdebriefe landen bei mir auf dem Tisch.“


Er rechnet damit, dass es unter den rund 3000 Freizeitfahrzeugen, die pro Jahr im Freistaat ausgeliefert werden, etwa 50 „extremere Fälle“ gibt. Nicht ausschließlich aufgrund mangelnder Qualität: „Manchmal hat erst der Kunde bei der Bedienung zwei linke Hände, dann versteht er sich mit dem Werkstattmeister nicht richtig, und anschließend vergreift sich noch jemand im Ton.“


Käufer: Was kann der Kunde selber für eine gute Qualität tun?

Wer einen hohen fünfstelligen Betrag für ein neues Reisemobil ausgibt, darf mit Recht ein mängelfreies Produkt erwarten. Eine gewisse Verantwortung trägt aber auch der Käufer, damit sein neues Freizeitfahrzeug vom ersten Tag an problemlos funktioniert.


Qualität, Report

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Für die Übergabe eines neuen Reisemobils sollten Käufer viel Zeit einplanen und sich alle Funktionen genau erklären lassen.

So bedeutet eine Fahrzeugübergabe viel mehr als die Abholung der Schlüssel. Am besten vereinbaren Kunde und Verkäufer frühzeitig einen Termin bei Tageslicht. Dann lassen sich kleine Beschädigungen sofort erkennen. Zudem sollte keiner der Beteiligten unter Zeitdruck stehen.


Händler-Präsident Wolfgang Liebscher: „Manchmal sind die Käufer im Vorurlaubsstress und hören gar nicht richtig hin.“ Fehlbedienungen und im Extremfall sogar vermeidbare Schäden können die Folge sein. Selbst wer sein zehn Jahre altes Reisemobil in allen Details kennt, kommt beim Nachfolger nicht automatisch sofort zurecht. Durch viele moderne Komfortextras ist die Bedienung komplizierter geworden.


Liebscher empfiehlt sogar, die erste Nacht gleich unmittelbar in der Nähe des Händlerbetriebs zu verbringen. So kann man sich in Ruhe mit dem neuen Fahrzeug vertraut machen. Manches Ärgernis äußert sich dennoch erst während der großen Tour. Wolfgang Liebscher rät, sich in diesem Fall gleich beim Händler zu melden, „bevor sich etwas aufbaut. Der Kunde soll anrufen oder gleich vorbeikommen, wenn er in der Nähe ist. Auf keinen Fall aber selber herumpfuschen.“


Bei modernen Reisemobilen wären Hobbybastler ohnehin oft überfordert. Liebscher: „Allein die Überlegung, warum ein Kühlschrank nicht funktionieren kann, ist heute viel komplexer geworden.“ Das Kleingedruckte in den Garantiebedingungen ist einweiterer Grund, die Finger wegzulassen. Zwei Jahre gilt die gesetzliche Gewährleistungsfrist für Neufahrzeuge. Darüber hinaus geben viele Hersteller weitere Garantien, etwa für die Dichtigkeit des Aufbaus.


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Der richtige Ansprechpartner bei Qualitätsmängeln ist stets der Händler, bei dem man das Reisemobil gekauft hat.

So oder so ist der Händler als Vertragspartner stets die Anlaufadresse, sobald es um Mängelbeseitigung geht. Deshalb hat es letztlich auch etwas mit Qualität zu tun, gleich beim Kauf einen Vertragspartner des Vertrauens zu wählen. Der Händler bleibt selbst dann der vom Gesetzgeber vorgesehene Ansprechpartner, wenn die Mängel eine Montagsproduktion vermuten lassen. Bevor man über die Rückabwicklung eines Kaufvertrags nachdenkt, muss die Werkstatt zweimal die Chance bekommen, den Mangel zu beheben.


Was der Kunde nicht bemerkt: Oft streiten vor allem Handel und Hersteller über mangelnde Qualität. Etwa wenn es darum geht, Gewährleistungsreparaturen abzurechnen. Wolfgang Liebscher, seit 35 Jahren im Freizeitfahrzeughandel, sieht das pragmatisch: „Für uns ist es das tägliche Brot.“ Käufer sollten in dieser Zeit besser ihr Reisemobil genießen. Kein Problem, wenn die Qualität nicht nur auf dem geduldigen Papier der Hochglanzprospekte auftaucht.



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Kommentar: Qualität – Anspruch und Wirklichkeit

Fortschritte in der Reisemobilproduktion lassen sich an vielen Faktoren erkennen. Unter anderem kann man im promobil-Supercheck in der Rubrik „Mängel am Testwagen“ immer häufiger den Eintrag „keine“ lesen. Von der angestrebten Perfektion bleibt die Qualität aber immer noch ein gutes Stück entfernt. Das zeigen nicht zuletzt Lesererfahrungen, die regelmäßig die Redaktion erreichen. Verantwortlich für die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit sind vor allem zwei Faktoren: die immer kompliziertere Reisemobiltechnik und der hohe Anteil von Handarbeit in der Produktion. Qualität bleibt eine permanente Aufgabe.


Haben auch Sie Probleme mit der Qualität Ihres Wohnmobils? Schreiben Sie uns oder geben Sie Tipps und Tricks an andere Leser weiter. Hier im Kommentarfeld unten oder im promobil-Forum, der Community auf www.spitzetipps.com.



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